Hinrich Lühmann

Übertragungsliebe - eine Voraussetzung der Bildung

In zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen habe ich mich mit dem Phänomen der Übertragung beschäftigt. Freud bemerkt sie im Zusammenhang der psychoanalytischen Kur und sieht als eine ihrer Besonderheiten, dass es der Übertragung bedarf, wenn ein Wissen von dem, der es hört, "angenommen" werden soll. Dieser Vorgang ist von Affekten begleitet, die wir als Liebe, Abwehr oder Hass wahrnehmen. In der ökonomisierten Schule spielt das Phänomen der Übertragung keine Rolle mehr; es ist aber in jeder Unterrichtsstunde zu bemerken und die Quelle mancher Unterrichtsstörung durch Schüler oder auch Lehrer (!); zu den unerkannten Wirkungen einer schlecht gehandhabten Übertragung gehört auch das "Burn out" vieler Lehrerinnen und Lehrer.

Der hier aufgenommene Beitrag, der in einem Sammelband erschienen ist, greift noch einmal wesentliche Aspekte meiner Überlegungen auf.


… „In den Hintergrund gerät der Lehrer mit seinem je eigenen Wissen, seinen Interessen, seiner Erfahrung, seinem pädagogischen Eros. Von der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler und ihrer Entfaltung, von ihren individuellen Fragen, Nöten, Möglichkeiten ist nicht die Rede. Mit der Ausblendung der Subjekte verbinden sich methodische Strömungen, die den Lehrer auf die Rolle eines sich zurücknehmenden Organisators reduzieren, der nicht mehr lehrt, sondern selbstständiges Lernen der Schüler begleitet. Lehrervortrag oder fragend–entwickelndes Unterrichtsgespräch gelten als unprofessionell und veraltet. Dieses Streben nach zweckrationaler Regulierung ist nicht nur durch das Bedürfnis motiviert, die Berufsfähigkeit der Schüler zu sichern, Schulen effektiver zu machen und Kriterien für das politische Handeln zu liefern. Ihm liegt vielmehr, vermute ich, eine Furcht vor dem Unberechenbaren zugrunde, vor dem, was als „irrational“ gilt und sich keiner eindeutigen Zweckbestimmung fügt. Noch schärfer und auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis bezogen: hier wirkt Angst vor dem Unberechenbaren der Affekte, vor offener Aggressivität sowohl der Schüler als auch der Lehrer und vor sublimierter Sexualität, die nun einmal mit Lehren und Lernen verbunden und deshalb in der Schule allgegenwärtig sind.“ …

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Die Schule, das Lehren und die Übertragung
Lühmann 2009 Die Schule das Lehren und d[...]
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Version francaise
Französische Version. Übersetzung: Joana Kohlstedt.
Lühmann 2010 Die Schule das Lehren und d[...]
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