Hinrich Lühmann

Die Praxis als Ent-Täuschung

Einige Überlegungen zur Lehrerbildung.
Erschienen in: Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes H4, 2003

So warten einige Überraschungen auf unsere jungen Universitätsabsolventen, die in die Schule kommen.

Die erste ist, dass sie zu wenig von der deutschen Literatur wissen und neben dem Unterrichtsgeschäft sehr viel nacharbeiten müssen.

Die zweite Überraschung ist, dass sie viel Zeit verbrauchen werden, bis ihnen irgendwann dämmert, wie Textanalyse und Erörterung aufzubauen und zu bewerten sind.

Eine dritte Überraschung ist, dass sich Wissen nicht von alleine gleichsam im Erzählen weitergibt, sondern dass Wissensvermittlung ein Handwerk ist, dessen Technik erlernt werden muss.

Wenn man nun, wie zu hören ist, die Referendarzeit an der Schule kürzen und die theoretische Vorbereitung mehr an die Universität verlagern will, dann darf die universitäre Vorbereitung keine theoretische bleiben, sondern muss eine praktische werden – so früh und so intensiv wie möglich.

Denn dies ist die vierte Überraschung der Frisch–Examinierten: die Theorie des Unterrichtens, Fachdidaktik, Methodik, Lerntheorie zumal, haben ihren Wert - der darf aber nicht überschätzt werden.

Mehr noch, die Theorie des Unterrichtens kann ein völlig falsches Bild von der Unterrichtswirklichkeit vermitteln: als seien pädagogische Prozesse durchgängig planbar, rational zu steuern, durchgängig handhabbar. Dies ist ein Trugbild. Sie sind es nicht.

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