Das Phantasma vom Kinderfänger und die Funktion des Fremden

Dem Märchen vom Rattenfänger ist immer ein historischer Kern unterstellt worden. Generationen von Forschern versuchten ihn genauer zu bestimmen - als erzählende Spiegelung einer militärischen Werbeaktion, bei der die jungen Männer Hamelns weggeführt wurden, als Auszug von Kolonisten, die dann in Siebenbürgen wieder auftauchten, als kollektiven Veitstanz.

Dieses nicht nachlassende Bemühen um eine historische Rechtfertigung deutet auf einen verdrängten Kern des Stoffes hin.

... "Wir haben den Wunsch unterstellt, dass Eltern sich ihrer Kinder entledigen wollen. Das Phantasma artikuliert dies als eine Wunscherfüllung. Angesichts der Unzulässigkeit dieses Gedankens werden die Eltern in diesem Phantasma ersetzt durch den Kinderfänger, und in weiteren Ersetzungen werden die Kinder durch Ratten und wird der Kinderfänger durch den Rattenfänger ersetzt." ...

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Dieser Vortrag ist ein Resümee des im gleichen Jahr erschienenen Buches:

Fanny Rostek-Lühmann : Der Kinderfänger von Hameln. Untersagte Wünsche und die Funktion des Fremden. Berlin (Reimer) 1995. (= Reihe Historische Anthropologie; Bd. 23).

Lesenswert ist die erste Annäherung an das Thema (1992): hier wird genauer dargestellt, wie sich die Rattenfängersage entwickelt hat und welche (vergeblichen) Versuche es gab, einen "historischen Kern" zu beweisen.